ALS PRINT, EBOOK UND HÖRBUCH ERHÄLTLICH
Ein schrecklicher Unfall. Ein gelöschtes Gedächtnis und verwirrende Erinnerungssplitter.
Geblendet vor Liebe schmachtet Emma ihren Vampir an. Keinen Gedanken verschwendet sie daran, warum sie sich nach dem schweren Autounfall nur an ihn und sonst nichts mehr erinnern kann. Doch als sie immer wieder geheimnisvolle Träume hat, legt sich ein Schatten über ihre heile Welt.
Während sich Emma entführt auf einer einsamen Insel wiederfindet, trifft ihr Vampir eine folgenschwere Entscheidung, die unwiderrufliche Konsequenzen nach sich zieht. Noch ahnt Emma nicht, dass ihnen schon bald ein Kampf auf Leben und Tod bevorsteht.
Die Fortsetzung der prickelnden Urban Fantasy-Reihe DREI SEELEN, die für alle Leser:innen geeignet ist, die sich eine romantische und trotzdem spannende Geschichte wünschen.
TRIGGERWARNUNG:
Dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Die Inhalte sind: sexuelle Szenen, Mord, Gewalt
Leser:innenstimmen
Mein Leben ist ein Scherbenhaufen und die Splitter sind Erinnerungen, die nicht und nicht zusammenpassen wollen!
Andrew, meine große Liebe, hat mir den Grund, aus dem ich mich an nichts mehr erinnern kann, offenbart: ein Autounfall. Trotzdem ist es eigenartig, dass ich mich bei einem Gedächtnisverlust an ihn, aber sonst an nichts erinnern kann.
Und dann auch noch diese befremdlichen Träume! Vielleicht läuft hier etwas total schief und Andrew ist nicht ehrlich zu mir. Aber vielleicht spinne ich mir das alles nur zusammen. Immerhin hat sich Andrew lange Zeit um mich gekümmert, mich gepflegt und gehegt. Eigentlich sollte es keinen Grund geben, mich anzulügen, aber uneigentlich bin ich mir bei gar nichts mehr sicher.
Leseprobe
Kapitel 1
Der Privatjet hob ruckelnd von der Startbahn in Berlin ab. Während unter mir die Stadt immer kleiner wurde, gab ich meinen kritischen Stimmen im Kopf nach und ließ die Geschehnisse ein letztes Mal Revue passieren.
Emma war bis zu dem Zeitpunkt, als Steve und ich in ihr Leben traten, ein unwissender Mensch gewesen. Ein reines Wesen, das nie in die jüngsten Ereignisse hätte hineingezogen werden dürfen. Dumm nur, dass sie mir in dieser Bar über den Weg gelaufen war und mein Vampirsensor angeschlagen hatte. Wie es passieren konnte, dass sie meine Seelenverwandte wurde, obwohl sie kein Vampir war, wusste ich nicht. Aber Fakt war, dass wir uns nun genau in dieser Situation befanden. Und es ging mir richtig, richtig schlecht, weil ich mich noch immer nicht mit ihr vereint hatte.
Alles lief ab dem Zeitpunkt aus dem Ruder, als Emma von Steve gebissen wurde und in eine Art Koma fiel. Nur durch Steves Opfer wurde sie wieder zurückgebracht.
Ich schüttelte den Kopf. Steve … Tja, er hatte sein Leben für ihres gegeben. Vielen Dank, Bruder, dass du mir den Weg geebnet hast. Wäre nur nett gewesen, wenn du Emma in einem Stück zurückgeschickt hättest. Nach ihrer Rückkehr war sie nicht mehr dieselbe gewesen. Obwohl ich mich rührend um sie gekümmert und mich wirklich bemüht hatte, war ihr Herz gebrochen. Sie versuchte sogar, sich das Leben zu nehmen. Wie dumm diese Menschen doch sein konnten.
Meine rechte Hand formte sich zu einer Faust. Nur mühsam konnte ich die aufkeimende Wut herunterschlucken.
›Beruhig dich. Alles ist so, wie es sein soll‹, ermahnte ich mich selbst.
Nach Emmas Selbstmordversuch blieb mir keine andere Wahl, als sie zu manipulieren. Unverständlicherweise fand sie das nicht so toll, als sie zur Hexe mutierte und ihre Erinnerungen zurückkamen. Sie hasste mich und das konnte ich nicht zulassen. Also manipulierte ich sie erneut. Dieses Mal jedoch unwiderruflich. Mit einem Wimpernschlag waren ihr früheres Leben, all ihre Erinnerungen ausradiert. Ich ließ ihr lediglich das Wissen darüber, dass ich ein Vampir war und formte noch ein paar andere, neue Bilder in ihrem Kopf. Sie würde sich nur noch an mich, ihren Seelenverwandten, ihren Vampir, ihre Zukunft, ihr Ein und Alles erinnern. Ach ‒ und nicht zu vergessen: meinen Befehl an sie. Natürlich so tief in ihrem Gedächtnis versteckt, dass er nicht einfach wieder an die Oberfläche kommen konnte. Sollte sie sich an etwas aus ihrem früheren Leben erinnern, müsste sie furchtbare körperliche Schmerzen erleiden und jeden Gedanken an früher sofort wieder vergessen.
Mein Blick glitt zu Emma. Zufrieden betrachtete ich meine Arbeit. Die Manipulation war gelungen, denn wie befohlen, schlief sie tief und fest und würde erst wieder aufwachen, wenn ich es ihr gestattete. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Es waren zwar ein paar Umwege notwendig, aber final würde ich das bekommen, was ich wollte: Emma, meine Seelenverwandte. Ich war einfach großartig.
Wir hatten mittlerweile die Flughöhe erreicht. Je weiter wir uns von Berlin entfernten, desto entspannter wurde ich. Die Wolken formten sich in den bizarrsten Varianten und vermittelten mir ein Gefühl von Freiheit. Zur Feier des Tages genehmigte ich mir eine Blutkonserve, während ich den Ausblick genoss.
***
Die Anreise verlief problemlos. Zwar musste ich am Flughafen Berlin einige Sicherheitsbeamte manipulieren, um ungehindert mit Emma im Arm durch die diversen Checks zu kommen, aber das stellte mich vor keine große Herausforderung. Welcher pflichtbewusste Beamte hätte es kommentarlos hingenommen, dass Emma von mir getragen werden musste und in meinem Arm schlief? Schlussendlich hatte alles funktioniert. Am Ende zählt bekanntlich nur der Sieg. Der Weg dorthin ist nebensächlich.
Ich war frei. Nein, besser gesagt, wir waren frei. Wir würden ein neues, gemeinsames Leben in den USA beginnen.
Nach der Landung am Glacier Park International Airport wartete bereits eine Limousine und brachte uns zu unserem Anwesen in Columbia Falls. Die wunderschöne Gegend faszinierte mich noch immer. Gerade schob sich die Sonne Richtung Zenit und vertrieb auch die letzten Schatten, die die Berge auf das Tal warfen. Der Frühling war auch hier angekommen. Die Laubbäume trugen bereits erste Blätter und leuchteten gemeinsam mit den Nadelbäumen in sattem Grün.
Als das Auto die breite Straße verlassen hatte, wusste ich, dass es nicht mehr weit war und wir unseren Landsitz bald zu Gesicht bekommen würden. Kurz nachdem sich der Wald gelichtet hatte, erblickte ich das imposante Gebäude. Es strahlte wie eh und je. Ich verband viele schöne Erinnerungen mit diesem Haus.
Es bot eine Mischung aus Natursteinen und Holz, die sich sanft in die Landschaft einbettete. Das Haus war relativ neu, wirkte aber trotzdem alt und geschichtsträchtig. Da es noch keine zwanzig Jahre alt war, vereinte es Luxus und klassischen Chic hervorragend. Auf knapp sechshundert Quadratmetern Wohnfläche blieben keine Wünsche offen.
Als die Limousine zum Stillstand kam, stieg ich aus und holte den Haustürschlüssel aus der Innentasche meines Sakkos. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür. Der altbekannte Geruch nach frisch geschnittenem Holz hieß mich willkommen.
Behutsam legte ich Emma auf das rotbraune Chesterfield-Ledersofa im Wohnzimmer und entfachte das Feuer im großen offenen Kamin, der schon bald eine angenehme Wärme verströmte. Ich ließ sie vorerst schlafen, da ich nochmals in die Stadt musste, um Lebensmittel sowie Blutkonserven zu besorgen. Erst nachdem ich das erledigt und uns häuslich eingerichtet hatte, würde ich sie wecken.
Vorfreude, aber auch ein wenig Nervosität breiteten sich in mir aus. Seitdem ich sie manipuliert hatte, war sie noch nicht wieder munter gewesen. Schon jetzt war ich auf ihr Verhalten gespannt, wenn sie aus ihrem Dornröschenschlaf erwachte.
***
Da ich sie nicht zu lange allein lassen wollte, beeilte ich mich im Supermarkt. Für meine Konserven hatte ich einen Kontaktmann in der Stadt. Die Blutversorgung war über die Jahrhunderte immer besser organisiert worden. Mussten wir uns früher selbst um unsere Nahrung kümmern, so gab es mittlerweile Blutbanken, in denen man den roten Lebenssaft kaufen konnte. Existierte im Umkreis von hundert Kilometern keine Blutbank, fanden sich Unterhändler, die man kontaktieren konnte. Die Menschen glaubten, Blut für Spitäler zu spenden. In Wirklichkeit aber spendeten sie für unsere Mahlzeiten.
***
Nachdem der Einkauf erfolgreich verstaut war, ging ich zu Emma. Je näher ich dem Sofa kam, desto nervöser wurde ich. Als ich sie sanft wecken wollte, fiel mein Blick auf ihre Kette. Hatten Mike und Fraya nicht gesagt, dass die Kette auch magisch war? Ich überlegte und beschloss, sie ihr abzunehmen. Emma sollte ab jetzt ohne Magie leben. Behutsam richtete ich sie auf, um an die Schließe des Halsschmucks zu kommen. Gerade war ich dabei, sie zu umfassen, als ein grüner Blitz aus der Kette schoss und mich gegen die Wand schleuderte. Benommen blieb ich liegen und schüttelte verwirrt den Kopf. Ich brauchte wohl einen anderen Plan, um ihr das Teil abzunehmen.
Na gut, ich würde mich später darum kümmern. Über kurz oder lang musste sie jedoch verschwinden. Kurz bevor ich aufgeben wollte, kam mir noch eine Idee. Was wäre, wenn ich Emma eine neue Kette kaufen und sie bitten würde, das hässliche Ding abzunehmen? Das war eine hervorragende Idee! Genau so würde ich es machen.
Der Moment der Wahrheit rückte näher. Ich atmete zweimal tief durch, kniete mich neben sie und strich ihr liebevoll eine Strähne aus dem Gesicht.
»Emma, Geliebte ‒ Zeit, aufzuwachen«, flüsterte ich ihr ins Ohr.
Langsam schlug sie die Augen auf und lächelte mich verliebt an. Im nächsten Moment schlang sie ihre Arme um mich und zog mich in eine innige Umarmung. Mein Herz machte vor Freude einen Satz. Die Anspannung fiel von mir ab. Alles war gutgegangen. Lachend löste ich mich von ihr, um ihr ins Gesicht blicken zu können. Ich wollte sichergehen, dass ich mich nicht getäuscht hatte. Tatsächlich, alles gut. Zufrieden zog ich sie erneut an mich und hauchte ihr einen sanften Kuss auf die Lippen, was Emma zum Seufzen brachte.
Willkommen, neues Leben. So konnte es für immer bleiben.
Andrew weckte mich liebevoll. Blinzelnd schlug ich meine Augen auf und musste sie umgehend wieder schließen. Die Sonne strahlte mit Andrew um die Wette und blendete mich. Andrew! Keinen Augenblick wollte ich verpassen, wenn mich seine warmen Augen anblickten.
Erneut zwang ich mich, meine Augen zu öffnen, und ignorierte das grelle Licht so gut es ging. So wollte ich mein restliches Leben lang aus dem Schlaf geholt werden. Nach einer innigen Umarmung, aus der ich ihn nur widerwillig entließ, siegte jedoch meine Neugierde. Langsam richtete ich mich auf. Ich hatte auf einem gemütlichen Ledersofa geschlafen. Eine Couch, die mir in keinster Weise bekannt vorkam. Verwirrt blickte ich mich um. Offensichtlich befand ich mich in einem Wohnzimmer. Große Fensterflächen und ein offener Kamin luden zum Verweilen ein. Letzterer spendete angenehme Wärme und sorgte für eine romantische Atmosphäre. Das dunkel geräucherte Eichenparkett bildete in Kombination mit den weißen Wänden und den hellen Altholzmöbeln eine perfekte Symbiose. Ich hätte den imposanten Wohnbereich noch stundenlang beäugen können, ohne mich daran sattzusehen, aber ein Gefühl erinnerte mich daran, dass es hier jemanden gab, der wichtiger war, der es verdient hatte, meine volle Aufmerksamkeit zu erhalten.
Mein Blick fiel abermals auf Andrew. Ich hatte nur noch Augen für ihn und verschwendete keinen weiteren Gedanken an die fremde Umgebung. Meine Liebe für ihn war unsterblich. Wobei, unsterblich war nur er, ich nicht. Zumindest noch nicht. Würde er mich fragen, ob er mich verwandeln dürfte, würde ich nicht zögern. Ich wollte mit ihm vereint sein, auf ewig.
Während mich Andrew in eine Umarmung zog, seufzte ich zufrieden. Wie sehr ich doch seine Wärme genoss. Vor allem aber das Prickeln, das er in mir auslöste, ließ mein Herz schneller schlagen und meinen Schoß vor Verlangen schmerzen.
Mein laut knurrender Magen zerstörte jedoch diesen intimen Moment. Andrew lachte und löste sich abermals von mir. ›Nein, noch nicht!‹, rief meine Seele ihm still zu. Aber Andrew stand auf und ging zur Tür.
»Komm, Geliebte. Du brauchst etwas zu essen, sonst verhungerst du mir noch.«
Er reichte mir die Hand. Ich zögerte keine Sekunde und ergriff sie.
Als ich nun auf meinen Beinen stand, drängte sich erneut die Frage auf: Wo war ich? Obwohl mich das Wohnzimmer noch immer beeindruckte, konnte ich nichts damit verbinden. Ich spürte, dass meine Beine weich wie Wachs wurden. Andrew bemerkte wohl meine aufkeimende Panik und drehte sich zu mir um.
»Was ist los, fühlst du dich nicht gut?«
Besorgt taxierte er mich.
»Doch, doch ‒ aber ich habe keine Ahnung, wo wir sind. Es ist alles so fremd.«
»Emma, ach herrje, das hatten wir doch schon. Anscheinend hast du alles wieder vergessen.«
Ich spürte, wie mir heiß wurde und Röte in mein Gesicht schoss. Tränen der Scham brannten in meinen Augen. Verlegen senkte ich meinen Kopf, damit er sie nicht sehen konnte. Andrew legte sanft einen Finger unter mein Kinn und hob es an.
»Emma, nicht, es ist alles in Ordnung. Verzeih, bitte. Ich bin zu ungeduldig. Ich hatte gehofft, dass du dich dieses Mal erinnern würdest. Aber ich erzähle dir alles, überhaupt kein Problem. Lass mich nur überlegen, wo ich anfange.«
Dankbar lächelte ich ihn an. Ich hatte so viel Glück, einen dermaßen verständnisvollen Mann an meiner Seite zu haben. Er führte mich weiter in die Küche und gab mir ausreichend Zeit, mich umzusehen. Wie auch im Wohnzimmer waren hier nur die edelsten Materialen verarbeitet worden. Nicht nur das: In der riesigen Küche hätte eine ganze Fußballmannschaft Platz gefunden! Ich ließ meine Finger über die exklusive Arbeitsfläche gleiten und hoffte bei jedem Detail, das ich erblickte, ertastete, eine Erinnerung heraufbeschwören zu können. Doch nichts geschah.
Suchend, beinahe flehend ließ ich meine Finger weiterwandern. Die Holzmaserung der Schränke fühlte sich angenehm an. Andrew schien meine Verzweiflung zu spüren. Er legte seine Hände um meine Taille, als könnte er mich so davon abhalten, abzudriften, setzte mich auf die Arbeitsplatte und lächelte mir aufmunternd zu.
»Kannst du dich an irgendetwas erinnern?«
Ich schüttelte nur verlegen den Kopf. Da war nichts, überhaupt nichts.
Ja, ich wusste, dass er ein Vampir und mein Seelengefährte war und wir einander liebten, aber sonst waren all meine Erinnerungen wie ausradiert.
»Kein Problem, dann fangen wir am Anfang an. Wir sind in unserem Haus in Montana, Columbia Falls, in den USA. Wir kennen uns seit rund fünf Jahren und wohnen seit etwa vier Jahren hier. Früher hast du in Berlin gelebt, wo wir uns in einer Bar kennengelernt haben. Als ich dich damals sah, war mir sofort klar, dass du die Frau meines Lebens bist. Es war Liebe auf den ersten Blick. Du warst mir nicht abgeneigt, sonst hättest du dich wohl kaum dazu entschieden, mit mir zu kommen.«
Andrew hielt inne und ließ mich das Gesagte verarbeiten. Die Geschichte klang wie ein Liebesroman. Ich seufzte und wartete gespannt auf die Fortsetzung.
»Da du weder Familie noch Verwandte hattest, ist dir der Abschied von deiner alten Heimat nicht allzu schwergefallen. Während ich mich um die Führung des Konzerns gekümmert habe, hast du das Haus auf Vordermann gebracht, wenn du mich nicht auf Geschäftsreisen begleitet hast. Du hast mich auch oft bei organisatorischen Dingen unterstützt, da du, bevor du mit mir nach Amerika gekommen bist, Assistentin der Geschäftsführung in einem Konzern in Deutschland warst und einiges von diesem Handwerk verstehst.«
Aufmerksam richtete er seinen Blick auf mich und erwartete irgendeine Reaktion. Ich nickte zustimmend, aber Erinnerungen wurden keine in mir wach.
»Alles war wunderbar und perfekt, bis zu jenem schicksalhaften Freitag. Du wolltest in die Stadt zum Einkaufen. Bei der Heimfahrt passierte dann das Unglück. Du bist aus unerklärlichen Gründen von der Straße abgekommen und hast dich mit deinem Auto mehrmals überschlagen. Ich war zu Hause und habe dich bereits sehnsüchtig erwartet. Als bereits fast drei Stunden vergangen waren, überrollte mich eine böse Vorahnung. Ich versuchte, dich am Handy zu erreichen, aber du bist nicht rangegangen. Krank vor Sorge habe ich mich auf die Suche nach dir gemacht. Ich fuhr die Strecke ab, konnte aber nichts entdecken. Erst als ich den Wald durchkämmte, konnte ich das im Graben liegende Auto sehen. Ich eilte zu dir. Du warst nicht ansprechbar. Überall war Blut, sehr viel Blut. Ich dachte, du wärst ...«
Andrew hatte Tränen in den Augen. Der Anblick musste furchtbar gewesen sein. Darüber zu sprechen, machte ihm sichtlich zu schaffen. Als er sich wieder gefasst hatte, fuhr er fort.
»Ich befreite dich aus dem Wrack und brachte dich in das nächstgelegene Krankenhaus. Die Ärzte kämpften um dein Leben. Diese Ohnmacht, nichts tun zu können, war furchtbar. Als dann, nach etlichen bangen Stunden, die erlösende Nachricht der Ärzte kam, dass du noch am Leben warst, machte mein Herz einen Satz.«
Er ergriff meine Hand und küsste sie, ehe er fortfuhr. »Ich habe dich jeden Tag besucht. Anfangs hast du im Koma gelegen. Kein Arzt konnte mir sagen, ob und wann du wieder aufwachen würdest. Nach zwei bangen Wochen war es dann soweit und du hast deine Augen geöffnet. Es ging dir körperlich gut, jedoch hattest du keinerlei Erinnerungen. Im ersten Moment konntest du mit mir nicht einmal etwas anfangen, nach kurzer Zeit war jedoch zumindest dieses Problem erledigt. Unsere Liebe war stärker als die Auswirkungen des Unfalls. Nach weiteren zwei Wochen durfte ich dich dann mit nach Hause nehmen. Anfangs warst du sehr schwach, aber nach und nach kamst du wieder zu Kräften. Schon bald konnten wir das Haus verlassen und ein wenig spazieren gehen. Seit dem Unfall sind nun drei Monate vergangen. Die Ärzte befürchten, dass die restlichen Erinnerungen wohl nie zurückkehren werden. Sobald du einschläfst, vergisst du immer wieder alles, was ich dir erzählt habe. Du kannst dich zwar an mich erinnern, aber an sonst nichts. Ich sehne den Tag herbei, an dem du aufwachst und dich an alles erinnern kannst.«
Andrew legte mir die Hand an die Wange. Ich genoss die Wärme, die sie ausstrahlte.
»So, genug davon. Lass uns für dich Essen machen.«
Er öffnete den Kühlschrank, holte Gemüse und Hähnchen aus dem Vorratsschrank sowie Suppenwürfel und Reis. Dann schnippelte er in Windeseile Gemüse und Fleisch in eine Pfanne, brutzelte es und löschte es mit ein wenig Suppe sowie etwas anderem, das ich nicht erkennen konnte, ab. Danach warf er noch ein paar Gewürze und Kräuter in den Topf und ließ alles auf niedriger Flamme köcheln. Es roch vorzüglich. Mein Magen hatte wohl die gleiche Meinung. Er meldete sich mit einem lauten Knurren zurück. Andrew grinste und beeilte sich, das Essen fertig zuzubereiten.
Er half mir von der Arbeitsplatte und führte mich ins Esszimmer, das in das Wohnzimmer integriert war. Andrew trat von hinten an mich heran und schlang seine Arme um meine Taille. So standen wir eine Zeit lang, bis uns das Zischen des überlaufenden Reiswassers aus der Umarmung riss.
»Mist!«, fluchte Andrew und raste in die Küche.
»Kann ich dir helfen?«
»Nein, danke, Liebling. Ich bin gleich soweit. Setz dich schon, Essen ist sofort da.«
Das Essen schmeckte erstklassig. Die Hähnchenbrust war so zart, dass sie auf der Zunge fast zerfiel, und die raffinierten Kräuter ließen mich an einen Urlaub in Südfrankreich denken. Andrew war offenbar ein wahrer Meisterkoch. So sehr ich mich bemühte, aber ich konnte nicht alles aufessen. Beschämt blickte ich ihn an.
»Es tut mir leid, aber ich bin satt. Mehr bringe ich beim besten Willen nicht mehr runter.«
Er lächelte mich an, nahm den Teller, und ehe er damit in die Küche eilte, gab er mir einen Kuss auf die Stirn.
»Darf ich dir unser Haus zeigen? Vielleicht kannst du dich morgen doch wieder an alles erinnern ‒ du sollst dich hier nicht fremd fühlen.«
»Sehr gerne«, erwiderte ich mit einem freudigen Lächeln.
»Gut, dann lass mich nur noch schnell die Küche ein wenig aufräumen. Mach es dir in der Zwischenzeit auf der Couch gemütlich. Ich hole dich, sobald ich fertig bin.«
Ich nickte ihm zu und nahm auf dem Sofa Platz. Obwohl der Kamin eine wohlige Wärme ausstrahlte und mein Magen glücklich vor sich hingluckste, wollte sich keine Zufriedenheit in mir einstellen. Es war alles perfekt. Zu perfekt. Andrew war wundervoll und zuvorkommend, aber warum um alles in der Welt konnte ich mich an nichts außer ihn erinnern? Funktionierte so tatsächlich eine Amnesie? Es war wie im Märchen, der edle Ritter … und trotzdem ermahnte mich mein Bauchgefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmen konnte. Dieser Eindruck schien beinahe übermächtig.
Verzweiflung keimte in mir auf. Eine innere Stimme schaltete sich ein und flüsterte mir eindringlich zu, dass alles seine Richtigkeit hatte. Innerlich zerrissen, knetete ich nervös meine Finger, als mir ein Brandmal auf meiner Hand auffiel. Bei genauerer Betrachtung erkannte ich feine, verschlungene Linien, die ein Muster ergaben und nicht von dem Unfall herrühren konnten. Irgendwie erinnerte es mich an ein keltisches Zeichen, wie man es aus einschlägigen Büchern oder Filmen kannte. Warum war es mir bis jetzt noch nicht aufgefallen? Was ging hier vor sich? War ich der Typ Mensch, der sich ein Branding machen lassen würde?
Ich grübelte und grübelte, aber anstatt eine Antwort zu finden, verwirrte mich das alles nur noch mehr und ließ mich mit all meinen Fragen irritiert zurück.